«Wenn Europa ein Europa der Egoisten ist, brauchen wir es nicht mehr.» Das sagte der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm live am Mittwochabend bei stern TV mit Blick auf die Zustände im Flüchtlingslager Idomeni, das derzeit geräumt wird. «Ich trauere Idomeni nicht nach, das ist keine Art, zu überleben. Aber was ist die Alternative?», so Blüm im Gespräch mit Steffen Hallascka. «Die Flüchtlinge sitzen weiterhin in einem Land, das keine Perspektiven bietet und das fette, satte Europa schließt die Türen.»
Sophia Maier, die für stern TV bis vor wenigen Stunden im Lager war, beschrieb die Stimmung vor Ort als hoffnungslos. «Die Menschen sind leer und lethargisch. Sie steigen in die Busse, weil sie nicht mehr können. Und dann kommen sie in eines der anderen Lager. Die sind nicht besser als Idomeni, die sind zum Teil sogar schlimmer», so Maier live bei stern TV. «Viele Flüchtlinge wollen lieber zurück nach Syrien, weil sie sagen, es ist doch egal, ob ich hier langsam sterbe oder dort durch Bomben — und das meinen sie ernst.»
Laut Maier sei die Räumung bislang zwar friedlich abgelaufen, dies sei aber nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen, dass die Menschen ausgehungert würden. «Es gibt keine Helfer mehr, die dürfen nicht rein, werden ferngehalten. Die Wasserhähne im Lager sind gekappt, es gibt kein Essen mehr. Dahinter steckt die Strategie, die Menschen systematisch auszuhungern, damit sie ohne Widerstand gehen.»
stern TV-Reporterin Sophia Maier war es als eine der wenigen Journalisten gelungen, sich bis Dienstagnacht im Lager zu verstecken und mit den Menschen sprechen. Für Journalisten gibt es kaum Gelegenheit, die Lagerräumung vor Ort kritisch zu beobachten — Pressevertreter sowie Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind unerwünscht, teilweise wurden und werden sie von der Polizei verhaftet und gewaltsam abgeführt. Bereits im März war Maier in Idomeni gewesen und hatte für stern TV aus dem Lager berichtet. Dort hatte sie auch Norbert Blüm getroffen, der mit stern TV nach Idomeni gereist war und eine Nacht mit den Flüchtlingen gezeltet hatte. Mit seiner Reise wollte der frühere Bundesarbeitsminister damals «ein Stück weit das Elend teilen» und den Blick der Öffentlichkeit auf die katastrophalen und unmenschlichen Zustände im Lager lenken.
Am Dienstagmorgen hatten etwa 1.400 Polizisten damit begonnen, das Flüchtlingslager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze zu räumen und die noch rund 8.400 verbliebenen Flüchtlinge aus dem Lager abzutransportieren. Die Zelte und provisorischen Schlafstätten werden mit Bulldozern abgerissen. Bis Freitag soll das Flüchtlingslager vollständig aufgelöst sein.
Quelle: stern TV / Bild: Jordi Bernabeu Farrús (CC BY 2.0)