Die ägyptische Armee musste zur Schadensbegrenzung einen Sprecher vorschicken: Er hat es nicht so gemeint, der Militärchef, Verteidigungsminister und Vizepremier General Abdelfattah al-Sisi, als er zu Massendemonstrationen aufrief, mit denen die Ägypter und Ägypterinnen der Armee ein «Mandat zur Terrorismusbekämpfung» erteilen sollten. Der Sprecher versicherte treuherzig, dass diese Proteste in den Rahmen von «nationaler Versöhnung und Übergangsjustiz» fallen würden. Es gehört offenbar zum akzeptierten Politikverständnis der neuen Demokraten an Ägyptens Spitze, dass die Justiz auf die Straße gehört und diese Straße einer Armee den Marschbefehl erteilen kann.
Denn hätte sonst nicht sofort Präsident Adly Mansur — der ehemalige oberste Verfassungsrichter — seinen Verteidigungsminister in die Schranken verwiesen? Wo bleiben die Rücktrittsdrohungen jener Minister im Kabinett, die aus der nach dem Umsturz 2011 gegründeten Sozialdemokratischen Partei stammen? Wie geht der Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei mit so etwas um? Die traurige Wahrheit ist, dass sich nicht nur die Muslimbrüder und ihre Anhänger, deren Versammlungen von Ende Juni auf Video abrufbar sind und die eine deutliche, gewalttätige Sprache sprechen, in diesem dunklen Tunnel voller Schatten und Gespenster befinden, der in Richtung Bürgerkrieg führt, sondern auch die Gegenseite. Das einzig vernünftige Wort — Bleibt zu Hause, lasst euch nicht provozieren, bringt das Land wieder zum Funktionieren! — fällt nicht, wenn Emotionen zum Leitfaden der Politik werden: wir gegen die.
Als Erklärung für al-Sisis Aufruf wird ein rationales Argument angeführt: Umfragedaten hätten ergeben, so heißt es, dass eine klare Mehrheit gegen die Muslimbrüder stehe. Das wären in der Tat, begleitet vom Geld, das jetzt vom Golf nach Kairo fließt, prächtige Voraussetzungen für einen Neustart. Anstatt sich aber auf die Frage zu konzentrieren, wie man die Menschen davon überzeugt, die Muslimbrüder bei den kommenden Parlamentswahlen abzuwählen, wächst die Lust eines Sektors in der Gesellschaft auf deren Auslöschung. Das hat nicht nur schon einmal, unter Präsident Nasser, nicht geklappt — die Verfolgung ab 1954 beförderte ihre internationale Verbreitung -, es spielt den Muslimbrüdern sogar in die Hände. Zu ihrer Eigensicht, die sie in den zwei Jahren, die sie an den Futtertrögen der Macht waren, nicht abgelegt haben, gehört die Heimsuchung, die Verfolgung, die sie ins Verborgene zwingt.
Die Viktimisierung, die durch die derzeitige Strafverfolgung auf einer unklaren gesetzlichen Basis vor sich geht, ist geradezu ein Geschenk: Sie wird Unentschiedene emotional auf die Seite der «Unterdrückten»drängen, denen ihr Recht vorenthalten wird. Dass alles, was dem Staat nicht passt, unter «Terrorist»eingestuft wird, ist den Ägyptern auch nicht neu. Interimspräsident Adly hat bei seiner Nationalfeiertagsansprache den ersten drei Präsidenten der ägyptischen Republik (Muhammed Naguib, Gamal Abdel Nasser, Anwar al-Sadat) ein Loblied gesungen — und so nebenbei «Fehler» erwähnt. Die Revolution 1952 hatten die Offiziere noch mit den Muslimbrüdern gemeinsam gemacht. Natürlich ist es eine Vereinfachung, Parallelen zu der Zeit vor 60 Jahren zu ziehen. Aber über die Fehler, die damals gemacht wurden, könnte man auf alle Fälle noch einmal nachdenken.
Quellen: ots / Der Standard / Gudrun Harrer
Bild: Staeiou (CC BY-SA 3.0)