Das vielleicht Wichtigste gleich vorneweg — verbunden mit der Bitte an alle einschlägig vorbelasteten Politiker und Lobbyisten, diese hohle Phrase einfach stecken zu lassen: Das Internet war noch nie ein rechtsfreier Raum, es ist kein rechtsfreier Raum und es wird nie ein rechtsfreier Raum sein. Daran ändert der Bundesgerichtshof mit seinem aktuellen Urteil nichts. Im Gegenteil: Die Richter sorgen für ein gutes Stück mehr Klarheit und sie tun dies auf einem sehr nachvollziehbaren Weg. Das BGH-Urteil stärkt das Recht auf freie Meinungsäußerung, es bekräftigt auch den Schutz der Anonymität im Internet. Die gesetzliche Grundlage dafür ist im Grunde eindeutig. Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und die Durchsetzung von Urheberrechten, das sind die klar benannten Ausnahmen, in denen der Schutz der Anonymität aufgehoben werden kann. Nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr, Persönlichkeitsrechte sind ausdrücklich nicht aufgeführt.
Das bedeutet aber noch lange nicht, dass jeder über jeden und jederzeit anonym behaupten darf, was immer er will. Schließlich gehört zu den Ausnahmen die Strafverfolgung. Genau die setzt ein, wenn ein Betroffener Strafanzeige, beispielsweise wegen Beleidigung stellt und die Ermittlungsbehörden ausreichend Grund sehen, diese Anzeige auch zu verfolgen. Natürlich ist das eine zusätzliche Hürde. Eine Hürde, die an dieser Stelle aber auch genau richtig platziert ist. Denn auf diese Weise wird zumindest ein wenig unwahrscheinlicher, dass Kritik schon deshalb nicht öffentlich geäußert wird, weil der Kritiker stets um seine Anonymität fürchten und eventuell mit persönlichen Nachteilen rechnen muss. Eine solche Drohkulisse kann nicht im gesellschaftlichen Interesse sein.
Denn es sind nicht selten Insider, die es nur im Schutz der Anonymität wagen können, öffentlich auf echte Missstände hinzuweisen. Gleichzeitig kann auch niemand für sich in Anspruch nehmen, stets wohlfeilen Meinungen zu begegnen. Genauso wenig darf es auf der anderen Seite natürlich einen Freifahrtschein für anonyme Pöbler geben. Wer Opfer von ehrverletzenden Beiträge wird — oder sich als solches fühlt — hat wie bisher die Möglichkeit dagegen vorzugehen. Werden dem Betreiber einer Website rechtswidrige Inhalte gemeldet, dann hat er diese Vorwürfe zu prüfen und den entsprechenden Beitrag gegebenenfalls zu löschen.
Geht es nur darum, eine solche Behauptung aus der Welt zu schaffen, ist die Sache damit erledigt. Will ein Betroffener aber auch des Urhebers mächtig werden, dann muss er jetzt zum Mittel der Strafanzeige greifen. Das ist zwar gut so, wird das eigentlich Problem aber auch nicht wirklich lösen können. Wann ist Strafverfolgung wirklich gerechtfertigt? Welche Mittel sind in welchem Fall angemessen? Diese Streitpunkte bleiben, sie werden wohl in Zukunft sogar noch härter und wahrscheinlich auch häufiger diskutiert.
Schon die Definition dessen, wo zum Beispiel der Bereich der harten Kritik endet und die Beleidigung anfängt, fällt quer durch die Bundesrepublik höchst unterschiedlich aus. Welche Methoden die Ermittlungsbehörden in welchen Fällen anwenden sollten und wo sie mit Kanonen auf Spatzen schießen, ist ein weiterer Bereich, in dem sich ausdauernd streiten lässt. Solche Auseinandersetzungen sind natürlich nicht angenehm — notwendig sind und bleiben sie aber dennoch. Pathetisch ausgedrückt: Derlei immerwährende Streitfälle sind der Preis der Freiheit. Dieser Preis ist keinesfalls zu hoch.
Quellen: ots / Mittelbayerische Zeitung / Holger Schellkopf / Bild: Gerd Altmann