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Essstörungen sind mehr als Magersucht, Bulimie und Binge Eating — Berlin Herald

Immer mehr Menschen kämpfen im Alltag mit den Pfunden oder ihre Gedanken kreisen permanent um das Thema Essen und Abnehmen. Ab wann von einer Essstörung die Rede ist, entscheiden in der Regel Ärzte und Therapeuten. Diese berufen sich bei der Diagnose auf die offiziellen Kriterien aus dem ICD oder DSM. Viele Personen, die unter ihrem Essverhalten stark leiden, werden in diesen Diagnosekriterien jedoch nicht berücksichtigt und eine Behandlung bleibt ihnen oft verwehrt.

Maria Sanchez, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Begründerin der Methode SEHNSUCHT UND HUNGER, sieht dringend Handlungsbedarf, die Diagnosekriterien zu erweitern. Auch Menschen, die normalgewichtig sind, können unter ihrem Essverhalten leiden, ohne dass sie sich, wie beispielsweise bei der Bulimie, nach Essattacken übergeben. Viele können ihr Gewicht nur mit einem sehr hohen Kontrollaufwand, das heißt mit viel Sport, ständigem Diäthalten und Kalorienzählen, halten. Dies ist sehr kräftezehrend und reduziert die Lebensqualität. Bei SEHNSUCHT UND HUNGER heißt diese Personengruppe «dünne Dicke».

Darüber hinaus spricht Maria Sanchez noch von einer weiteren Gruppe, die nicht von den herkömmlichen Diagnosekriterien erfasst wird. Sie nennt sie die «Pegelesser». Diese essen den ganzen Tag kontinuierlich. Sie können nicht warten bis ihr Körper ihnen das Signal «Hunger» sendet. So nehmen sie permanent mehr Nahrung zu sich, als ihr Körper eigentlich braucht. Trotz des Bewusstseins, dass das für die Gesundheit schädlich ist, können sie das Essen nicht lassen.

Ob Magersucht, Bulimie, Binge Eating, «dünne Dicke» oder «Pegelesser» — alle Betroffenen haben etwas gemeinsam: Sie leiden unter ihrem Essverhalten. Essen dient ihnen als Ersatzbefriedigung für tieferliegende Bedürfnisse. Es kann unangenehme und schmerzliche Gefühle unterdrücken oder als Ersatz für nicht gelebte, positive Empfindungen dienen. Maria Sanchez hat daher für alle Essstörungen den Oberbegriff «Emotionales Essen» gewählt.

Je früher «Emotionales Essen» erkannt wird, desto schneller kann eine Heilung erfolgen. Es ist daher wichtig, die Gesellschaft für das Thema «Emotionales Essen» zu sensibilisieren. Übergewicht hat nichts mit Disziplinlosigkeit zu tun und Diäten und jede andere Form von Reglementierungen helfen nicht, sondern verschlimmern das Problem. So lange nicht an der eigentlichen Ursache für die Essstörung gearbeitet wird, ist keine Heilung möglich.

Ein Schritt in die richtige Richtung ist die Überarbeitung der offiziellen Diagnosekriterien. Im Mai diesen Jahres legte die American Psychiatric Association (APA) eine überarbeitete Version des DSM5*** vor, in dem die Diagnosekriterien für Essstörungen erweitert wurden. Auch wenn das Ergebnis nach Meinung von Maria Sanchez noch nicht ausreicht, das Krankheitsbild von Essstörungen umfassend genug zu beschreiben, so ist es ein guter Anfang. Derzeit wird ebenfalls das ICD aktualisiert. Die Ergebnisse werden 2014 der Weltgesundheitsorganisation zur Abstimmung vorgelegt.

Bild: Claudia Hautumm