In Deutschland verordnen die niedergelassenen Ärzte Antibiotika zunehmend zurückhaltender. Vorreiter sind dabei die Kinderärzte. Das zeigt erstmals eine Untersuchung der Wissenschaftler vom Versorgungsatlas. Die Verordnungszahlen sinken jedoch regional unterschiedlich und es gibt altersabhängige Unterschiede. Sorgen bereitet Experten der relativ hohe Einsatz von „Reserveantibiotika“, die schweren Infektionen vorbehalten sein sollten.
In Deutschland wird auf gesetzlicher Grundlage der Einsatz von Antibiotika in Kliniken überwacht. Im ambulanten Versorgungsbereich existiert ein derart systematisches gesetzlich geregeltes Monitoring indes nicht. Insbesondere fehlen statistische Auswertungen, die eine Beurteilung des Trends über mehrere Jahre hinweg erlauben.
Eine Studie der Wissenschaftler vom Versorgungsatlas des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) schließt nun erstmals diese Lücke. Die Forscher analysierten den Antibiotikaverbrauch auf der Basis der verordneten Packungen und definierten Tagesdosen sowie auf dem Anteil der Patienten mit mindestens einer Antibiotika-Verordnung.
Rückläufiger Trend.
„Unsere Analysen belegen statistisch signifikante rückläufige Trends bei der Verordnung von Antibiotika, die allerdings bei verschiedenen Altersgruppen und in verschiedenen Regionen unterschiedlich ausfallen“, erklärt Ramona Hering, eine der Autorinnen der Studie. Besonders deutlich ist dieser Trend bei Kindern: Die Ärzte verordnen Antibiotika in geringeren Dosierungen und seltener. Darüber hinaus sank im Beobachtungszeitraum auch der Anteil jener Kinder, die überhaupt antibiotisch behandelt werden auf deutlich unter 40 Prozent, nachdem er in 2009 darüber gelegen hatte. „Angesichts der Resistenzproblematik ist diese Entwicklung äußerst positiv“, betont Dr. Mandy Schulz, die Mitautoren.
Bei erwachsenen Patienten ist das Verordnungsverhalten der Ärzte hingegen stabil. In der großen Altersgruppe der 15-69-Jährigen bestehe, so die Wissenschaftler, noch Spielraum nach unten, wenn leitliniengerechter behandelt würde.
Der ebenfalls statistisch signifikante rückläufige Einsatz von Antibiotika bei älteren Menschen jenseits des 70. Lebensjahres könnte auch damit zu tun haben, dass diese Patienten bei Infektionen verstärkt in Kliniken eingewiesen und dort antibiotisch behandelt werden.
West-Ost-Gefälle.
Generell gibt es auch regionale Unterschiede. Es existiert ein West-Ost-Gefälle, Spitzenreiter bei den Verordnungen sind Rheinland-Pfalz und das Saarland, in den neuen Bundesländern verordnen die Ärzte hingegen weniger Antibiotika. Aber auch in Schleswig-Holstein und Bayern sind die Verordnungszahlen vergleichsweise niedrig.
Problemfall Reserveantibiotika.
Die Wissenschaftler vom Versorgungsatlas haben auch untersucht, welche Antibiotika verordnet wurden. Sorgen bereitet ihnen dabei der absolute und relative Zuwachs bei der Verordnung sogenannter Cephalosporine. Dies ist auch bei der Behandlung von Kindern unter 14 Jahren der Fall. „Insbesondere ab der zweiten Generation gilt diese Wirkstoffklasse aufgrund ihres breiteren Wirkungsspektrums als Reservegruppe, die schweren Infektionen vorbehalten sein sollte“, erklärt Dr. Bätzing-Feigenbaum, der Leiter des Versorgungsatlas. Zwar scheint der Anstieg bei der Verordnung der Cephalosporine inzwischen zum Stillstand gekommen zu sein, doch Handlungsbedarf sehen die Wissenschaftler gleichwohl. Diese Antibiotika gelten als eine der Ursachen für die Entwicklung von Multiresistenzen, denen unbedingt entgegengewirkt werden müsse, so die Autoren. Eine europäische Untersuchung aus dem Jahr 2010 zeigt, dass in Norwegen, Schweden, Dänemark und Holland Cephalosporine in der ambulanten Therapie kaum eingesetzt werden. „Wenn dies dort klappt, sollte das auch bei uns funktionieren“, mahnt Bätzing-Feigenbaum.
Ebenfalls warnen die Forscher vor dem Einsatz von Fluorchinolonen bei älteren Patienten. Diese werden in der Gruppe der über 70-Jährigen am häufigsten verordnet, gelten aber als Hauptverursacher von schweren Infektionen mit dem Bakterium Clostridium difficile, die mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden sind. Auch hier sehen die Experten noch Handlungsbedarf für die ärztliche Fortbildung.
Maßnahmen beginnen zu greifen.
Der gleichwohl insgesamt positive Trend deutet darauf hin, dass verschiedene Aktivitäten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Wirkung zeigen. Die KBV arbeitet bei der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) der Bundesregierung mit und unterstützt die Ärzte bei der sachgerechten Verordnung von Antibiotika beispielsweise mit Informationsmaterialien, Fortbildungen, einer MRSA-Vergütungsvereinbarung und dem Qualitätsmanagement-System QEP®. Veröffentlicht ist die Untersuchung mit allen Tabellen und Texten unter dem Titel „Entwicklung der ambulanten Antibiotikaverordnungen im Zeitraum 2008 bis 2012 im regionalen Vergleich“ auf www.versorgungsatlas.de.
(idw) / Bild: Andrea Damm