Keine zwei Wochen vor ihrem Beginn droht den Olympischen Spielen im russischen Sotschi aktuell ein Skandal. Nach Recherchen der ARD Sportschau und des WDR Magazins «sport inside» wurden die Arbeiter der Olympiabauten von Sotschi offenbar systematisch ausgebeutet. Eine Vielzahl der Arbeiter hat demnach ihren Lohn nicht vollständig oder gar nicht erhalten. Auf ARD/WDR-Anfrage bestätigte das Internationale Olympische Komitee, dass tausende Arbeiter nicht vollständig bezahlt worden seien. Zahlreiche russische Arbeiter und Gastarbeiter aus Zentralasien berichteten der ARD und dem WDR, dass sie bis heute auf einen Großteil ihrer Gelder warteten. Ein Arbeiter bezeichnete das Erlebte als «moderne Sklaverei». Ein anderer sagte in den Nachrichten: «Wir hätten doch nie gedacht, dass uns so etwas in Sotschi, auf so bedeutenden Baustellen von Olympia passieren würde. Wir haben hart gearbeitet, aber wie sollen wir denn jemals unser Geld bekommen?»
Der Vertreter der anerkannten Moskauer Menschenrechtsorganisation Memorial in Sotschi, Semjon Simonov, sagte der ARD Sportschau und WDR sport inside mit Bezug auf die weit über 100.000 in Sotschi eingesetzten Arbeiter sogar: «90 Prozent aller Arbeiter der Olympiabauten von Sotschi haben entweder ihren Lohn gar nicht bekommen oder nur in Teilen. Mit ihrer Arbeit wurde Olympia erst möglich, aber bezahlt wurden sie dafür nicht. Man hat ihnen nicht mal offizielle Arbeitsdokumente gegeben, und am Ende wurden viele von ihnen mit Gewalt ausgewiesen.»
Viele Arbeiter waren Gastarbeiter aus Zentralasien, ihre Zahl wird auf über 50.000 geschätzt. Ein Reporter war für die Sportschau und «sport inside» in Tadschikistan in Zentralasien, nach Angaben internationaler Verbände wie Human Rights Watch Moskau der erste eines westlichen Mediums überhaupt, der dem Problem in der Heimat der Gastarbeiter nachging. Bereits im Februar letzten Jahres hatte Human Rights Watch in einem Bericht auf die Missstände auf den Baustellen von Sotschi hingewiesen, die vor allem die Gastarbeiter betreffen. Allerdings war daraufhin nichts passiert.
Zahlreiche Gastarbeiter beschuldigen gegenüber ARD/WDR auch das russische Staatsunternehmen Olimpstroi, das für die Baustellen der Olympiabauten koordinierend verantwortlich ist. So sagt ein tadschikischer Arbeiter: «Als wir unser Geld haben wollten, hat unser Chef gesagt, Olimpstroi habe nicht bezahlt. Deshalb könne er auch nicht bezahlen.» Sowohl Olimpstroi als auch das Organisationskomitee der Olympischen Spiele in Sotschi 2014 lehnten ein Interview oder eine Stellungnahme dazu ab.
Das IOC verwies darauf, dass 13 Unternehmen nun Gehälter in Höhe von knapp sechs Millionen Euro nachgezahlt hätten. Wann und wie die Auszahlung bei den zumeist nicht registrierten Gastarbeitern von Sotschi, die überwiegend auch kein Bankkonto haben, erfolgt sein soll, schrieb das IOC trotz Nachfrage aber nicht.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments, Barbara Lochbihler, zeigte sich gegenüber der ARD erschüttert und die aufgedeckten Missstände einen «Skandal»: «Das IOC darf nicht einfach so weitermachen wie bisher. Man hätte viel früher reagieren müssen, wenn man es ernst gemeint hätte, dass Arbeiter bei der Errichtung der Sportstätten nicht ausgebeutet werden sollen. Es ist jetzt absolut notwendig, dass das IOC, die russische Regierung und die einzelnen Unternehmen Verantwortung zeigen. Sie müssen dazu stehen, dass sie hier die extreme Ausbeutung der Arbeitsmigranten nicht verhindert haben.»
Mehrere Arbeiter berichteten der ARD und dem WDR zudem von teilweise menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen. So sagte ein Arbeiter: «Wir haben unser Geld nicht bekommen, hatten keinen Tag frei, haben mit acht Personen auf 18 Quadratmetern gelebt. Wenn du krank warst, dein Problem. Ausbeutung war das.»
Die Bundesregierung wollte sich auf Anfrage nicht äußern, weder Außenminister Frank-Walter Steinmeier noch der für den Sport zuständige Innenminister Thomas de Maizière.
Die XXII. Olympischen Winterspiele in Sotschi beginnen am 7. Februar. Sie gelten mit geschätzten Investitionskosten von mehr als 40 Milliarden Euro als das teuerste Sportereignis aller Zeiten.
Bild: Bescker (CC BY-SA 3.0)