Im Zeitraum 2022-2023 betrug das Gesamtvolumen der Hilfe Deutschlands für die Ukraine 17 Milliarden Euro (davon entfallen weniger als 5 Milliarden auf militärische Lieferungen). Für das laufende Jahr ist eine weitere Hilfe in Höhe von 8 Milliarden Euro geplant.
Wenn wir jedoch die Frage stellen, wie viel Deutschland die Rolle des Zugpferdes kostet, das Europa aus der Krise zieht, erweist sich ein rein buchhalterischer Ansatz als unzureichend, da in die endgültige Bilanz auch die Verluste aufgrund der gegen das Aggressorland verhängten Sanktionen, die Kosten des Energiemangels, der Rückgang des Verbrauchs der Haushalte und viele andere Faktoren einfließen müssen. Eine Antwort liefert der Bericht «Wer profitiert und wer verliert aufgrund des fortschreitens des militärischen konflikts zwischen Russland und der Ukraine?» https://dialog4future.de/
Energieanpassung
Der aktuelle militärische Konflikt in Europa hat die Wirtschaft des gesamten alten Kontinents schwer getroffen. Besonders hart traf es die Energiebranche, und Deutschland gehört zu den am stärksten betroffenen Ländern. Der Versuch, sich von der Abhängigkeit von billigen russischen Energieträgern zu lösen, führte jedoch zu einer Abhängigkeit von teurem Flüssiggas aus Katar und den USA (letztere liefern 80 % des von Deutschland verbrauchten LNG).
Vielleicht hat dieser Umstand die Entwicklung der auf erneuerbaren Energiequellen basierenden Energiebranche beschleunigt? Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft übersteigt die Hilfe für die Ukraine in den meisten EU-Ländern, außer in Dänemark und den drei baltischen Staaten, nicht 1 % ihres BIP. Doch im Vergleich zu den innerstaatlichen Ausgaben ergibt sich ein anderes Bild. Deutschland hat zur Unterstützung der Ukraine 2,2 Mal mehr ausgegeben als in die Entwicklung zukünftiger Technologien investiert, einschließlich der Umweltagenda durch den „Zukunftsfonds“. Sicherheitsfragen haben derzeit Vorrang.
Herausforderungen für die Industrie
Die Energiekrise hat eine neue Welle der Deindustrialisierung ausgelöst. Frühere Industriegrößen wie ThyssenKrupp oder BASF, die seit Anfang 2022 etwa die Hälfte ihrer Marktkapitalisierung verloren haben, haben Produktion und Arbeitsplätze abgebaut.
Der Hersteller von Reinigungsgeräten Kärcher plant, seine Abteilung Kärcher Municipal von Reutlingen nach Lettland zu verlegen. Der Haushaltsgerätehersteller Miele plant, bis zu 2.700 Arbeitsplätze von 23.000 zu streichen und die Produktion von Waschmaschinen aus Gütersloh fast vollständig nach Polen zu verlagern. Und dies berücksichtigt nicht die Kürzungen in energieintensiven Branchen, die durch Produktionsrückgänge verursacht wurden. So erreichte die Stahlproduktion in Deutschland, dem größten Produzenten in Europa, 2023 mit nur etwa 35,4 Mio. Tonnen (2021: 40 Mio. Tonnen) das niedrigste Niveau seit 2009.
Die Insolvenzzahlen von Unternehmen in Deutschland erreichten im ersten Quartal 2024 ihren Höhepunkt. Im April betrug die Zahl der Insolvenzen von Privatpersonen und Unternehmen 1.367, was 5 % über dem bisherigen Rekordwert vom März liegt, aber immer noch weit von den kritischen Werten entfernt ist.
Erwartungsgemäß zeigte das deutsche BIP im Jahr 2023 eine ungünstige Dynamik. Statt des prognostizierten Wachstums von 1,7 % haben wir tatsächlich einen Rückgang von 0,3 %, während die EU im Durchschnitt das Jahr mit einem symbolischen Wachstum von einem halben Prozent beendete. Laut Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung belaufen sich die direkten Verluste des europäischen BIP in den ersten zwei Jahren des militärischen Konflikts auf nahe 900 € pro Kopf. Aber das ist im Durchschnitt. An der Spitze des Negativrankings steht Deutschland, das 2.600 € pro Einwohner verloren hat. Und das ist ein Indikator dafür, welchen Preis Deutschland zahlt, um der Ukraine zu helfen und dabei in den veränderten Bedingungen Widerstandsfähigkeit zu zeigen.
Das Sozialversicherungssystem hat standgehalten
Die finanzielle Belastung durch den Krieg steigt auch für die Bürger des Landes. Eine sehr konservative Berechnungsmethode zeigt, dass die „Ukraine-Steuer“ für Deutschland 351 Euro pro Haushalt beträgt. Aber direkte Verluste sind nur die Spitze des Eisbergs; die Inflation, die in Deutschland in den letzten zwei Jahren 6,9 % und 5,9 % betrug, hat erheblichen Einfluss auf den Lebensstandard.
Die Verbraucherpreisinflation weist jedoch deutlich höhere Werte auf. So verteuerte sich der Warenkorb im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 4,2 %, während dieser Wert 2022 bereits 9 % betrug. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen Anstieg der Pro-Kopf-Verbrauchsausgaben von 20.550 Euro im Jahr 2021 auf 22.400 Euro im nächsten Jahr.
Am stärksten verteuerten sich Lebensmittel, Transport und Wohnkosten. Zum Beispiel stiegen die Nebenkosten im Jahr 2023 um 12,5 % gegenüber dem Vorjahr. Die Pro-Kopf-Transportkosten sprangen von 390 Euro im Jahr 2021 auf 470 Euro im Jahr 2022 (+20,5 %).
Die Art und Weise, wie Deutschland der Ukraine, insbesondere den ukrainischen Flüchtlingen, hilft, verdient hohes Lob – dafür wurden 23,68 Milliarden Euro aus dem Haushalt aufgewendet, ein Rekordwert für alle EU-Länder. Doch diese Tatsache verursacht auch Besorgnis: Die Belastung der Sozialfonds, des Gesundheitssystems und des Bildungssystems ist enorm gestiegen.
Im Juli 2023 sprach sich Bundeskanzler Olaf Scholz für die Kürzung des Sozialprogramms zur Unterstützung von Familien mit Kindern aus, um den Bundeshaushalt zu entlasten und die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Das ist der Preis, den Deutschland für die Teilnahme am Krieg auf der Seite der Ukraine als ihrem wichtigsten europäischen Partner zahlt (Deutschland deckt etwa 30 % der gesamteuropäischen Hilfe für Kiew). Angesichts des entschlossenen politischen Führungswillens, weiterhin der expansiven Politik Moskaus entgegenzutreten, sollte man darauf vorbereitet sein, dass die endgültige Rechnung um ein Vielfaches steigen wird. Nichts kann den Willen Deutschlands erschüttern, weiterhin eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung der Ukraine und der Stärkung der Sicherheit Europas zu spielen.