Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert umfassende Reformen der Sozialgesetze in Deutschland, um die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Dabei sollten insbesondere die Regelsätze für Kinder und Jugendliche, Bildungsgerechtigkeit und die Möglichkeiten des gesunden Aufwachsens im Mittelpunkt der Reformen stehen. Soziale Sicherheit und Bildungsgerechtigkeit für Kinder sollten in einer der reichsten Industrienationen der Welt eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Zehn Jahre nach Einführung der sog. Hartz IV-Gesetze ist aber festzustellen, dass sich insbesondere die Kinderarmut in Deutschland deutlich verschärft hat. Die Zahl der von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen hat sich in den letzten zehn Jahren auf rund 2,8 Millionen mehr als verdoppelt.
«Kinderarmut wirkt sich in vielen Bereichen des Alltags aus. Dementsprechend brauchen wir ein Nationales Programm zur Bekämpfung der Kinderarmut, das interdisziplinär an verschiedensten Stellen ansetzt. Das fängt an bei der Beschäftigungspolitik, damit Eltern durch eigene Erwerbstätigkeit sich und ihren Kindern eine ausreichende finanzielle Lebensgrundlage bieten können. Bund, Länder und Kommunen müssten zudem gemeinsam dafür sorgen, dass Einrichtungen für Kinder und Jugendliche so ausgestattet werden, dass sie deren Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten adäquat fördern können. Ein gesundes Aufwachsen sollte für alle Kinder, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern, ebenso eine Selbstverständlichkeit sein. Mit Bildung stärken wir die Kinder als Subjekte und ermöglichen es ihnen, ihr Leben in die Hand zu nehmen und nicht in Resignation zu versinken. Deutschland darf bei der sozialen Gerechtigkeit nicht im Mittelmaß stecken bleiben», betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Um die soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu steigern, spricht sich das Deutsche Kinderhilfswerk für eine grundlegende Reform der Familienförderung aus. Notwendig sind aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes beispielsweise eine deutliche Erhöhung der Kinderregelsätze und ein Umbau des Kinderzuschlags. Dieser sollte zukünftig allen Familien mit Kindern zugute kommen, bei denen der Kinderfreibetrag im Einkommensteuerrecht nicht zum Tragen kommt. Denn Unterstützung brauchen vor allem diejenigen, bei denen es finanzielle Probleme gibt und nicht diejenigen, die über höhere Kinderfreibeträge schon seit langem von der Familienförderung profitieren. Letztlich sollten alle Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut in eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung münden.
Ein besonderer Fokus ist auf die Bildungspolitik zu legen. An dieser Stelle braucht es verstärkte politische Anstrengungen, allen Kindern gleiche Chancen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn zu ermöglichen, sowie ein nach oben durchlässigeres Schulsystem, das alle Kinder und Jugendlichen individuell entsprechend ihren Fähigkeiten optimal fördert. Die Reformanstrengungen der Bundesländer im Bildungsbereich müssen fortgesetzt werden, denn der Bildungsaufstieg ist der nachhaltigste Weg aus der Armut.
Auch bei der Gesundheitsversorgung ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Denn Kinderarmut und gesundheitliche Risikofaktoren gehen Hand in Hand. Trotz der prinzipiell kostenlosen Gesundheitsversorgung für Kinder und der kostenfreien Früherkennungsuntersuchungen werden insbesondere Mädchen und Jungen aus finanziell benachteiligten Verhältnissen von diesen Angeboten nicht erreicht. Zahlreiche Untersuchungen haben drastische Alarmzeichen herausgearbeitet: Etwa eine deutlich höhere Säuglingssterblichkeit als in den oberen sozialen Schichten, eine zweimal höhere Mortalitätsrate durch Unfälle als bei Kindern aus privilegierteren Schichten, ein sehr viel häufigeres Auftreten akuter Erkrankungen und eine höhere Anfälligkeit für chronische Erkrankungen. Arme Kinder leiden häufiger an Karies, Infektionen, Asthma, Fettleibigkeit, Kopf- und Rückenschmerzen. Kinder in Armut leiden aber auch häufiger unter Stress und geringem Selbstbewusstsein, was sie ihr Leben lang verfolgen wird. Natürlich gibt es auch positive Beispiele, wie Kinder trotz Armut ihr Leben hervorragend meistern, nur ist das leider nicht der Regelfall, da es zu wenig resilienzstärkende Mitbestimmungsprojekte gibt.
Eine im Januar dieses Jahres vom Deutschen Kinderhilfswerk veröffentlichte repräsentative Umfrage hat ergeben, dass 72 Prozent der Bundesbürger der Ansicht sind, staatliche und gesellschaftliche Verantwortungsträger würden «eher wenig» oder «sehr wenig» tun, um Kinderarmut wirkungsvoll entgegenzutreten. Dabei kommt eine große, die Parteigrenzen überschreitende Mehrheit zu der Aussage, Staat und Gesellschaft engagierten sich zu wenig gegen Kinderarmut. Zugleich wären 66 Prozent der Befragten bereit, mehr Steuern zu bezahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirksam bekämpft würde.
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